Vanillekipferln im Mai

22. Dezember 2011

Vanillekipferln und Ischlerkrapferln im Mai,
die erstgenannte Süßigkeit ist jeder Wienerin und jedem Wiener bekannt, die zweite nur jenen, deren Mütter sich die etwas aufwendigere Zubereitung zugemutet haben (zwei Butterkekse, dazwischen eine Kaffeecreme und darüber ein Schokoguß). In meiner Kindheit und Jugend durften die Dosen erst um die Weihnachtszeit, noch präziser ab dem 24.12. geöffnet werden. Die Zeit davor, mit ihren Düften der Zubereitung waren sowohl freudiges Versprechen als auch Qual bis man endlich der (Sehn-)Sucht nachgeben durfte.
Was meine Mutter tatsächlich einmal bewogen hatte – (vielleicht die Novelle von Heinrich Böll „und nicht nur zur Weihnachtszeit“) – einen radikalen Bruch mit dem liebgewonnen Ritual, mehr noch mit einer Kulturtradition vorzunehmen, konnte ich nie wirklich herausfinden, eines der Geheimnisse, die sie auf ihrer letzten Reise mitnahm.
Die, für die jährlichen Vanillekipferln und Ischlerkrapferln vorgesehenen Dosen blieben 1964 leer. Stimmt nicht ganz – es lag eine schöne Karte drin: „freu dich auf Deinen Mai“
Mir war schon – nach einem kurzem Schock – klar, welches Versprechen damit abgegeben wurde, aber das half jetzt am 24. Dezember herzlich wenig, vor allem war schwer einzuschätzen, welcher Gewinn mit dem Verzicht jetzt, dann an meinem Geburtstag zu erwarten war. Letztlich wurde mir eh nach jeweils 10 Stück dieser süßer Gemeinheiten schlecht, was mich aber nie abhielt nach Abklingen der Symptome, die nächste Tranche zu verzehren.
Nun, ich kam mit anderem picksüßen Zeuge über die Runden, Faschingskrapfen wurden Gott sei Dank nicht in den Oktober verlagert, bis tatsächlich der berühmte Backgeruch sich mit dem Maiglöckchenduft vermischte. Meine Mutter, ganz stolz und glänzend, hatte ihr Versprechen gehalten: zum Geburtstag gab es eine riesen Schüssel VK und IK, ein Hit bei der GT-Party („Wau, was hast Du für eine tolle Mutter, sogar im Mai gibt es bei Dir Weihnachten“).
Nach zuverlässigen Aussagen und Bestätigung von seriösen Zeugen sollen die VK und IK genauso hervorragend zubereitet gewesen sein wie üblicherweise im Dezember, schmecken konnte ich das nicht. Obwohl ich mich bemühte – Sachertorten ändern ja auch nicht ihre Geschmackswirkungen über die Jahreszeiten hinweg – ich konnte den Genuss nicht entdecken. Der Verlust hatte sich also verdoppelt und mein Interesse an den beiden Kekssorten sank rapide und wurde durch Schokorumkugeln kompensiert.
Die Versöhnung gelang erst viel später, über die Begegnung mit dem radikalen Konstruktivismus. Dennoch bin ich jedes Weihnachten erstaunt, wie der Kontext des Umfeldes, wie die emotionale Aufladung der Erwartungen sich bis in die Geschmacksnerven (und wohin auch immer) durchschlägt.
Keine Moral der Geschichte, es ist bloß ein Blog… zur Weihnachtszeit