Mitaufregen, mehr wegschauen, gelassen bleiben – entweder oder; sowohl als auch?

18. April 2024

Das frage ich mich immer öfter – wem geht es da ähnlich?

Wenn ich mich im Feld der medialen Kommunikation bewege – meist unabhängig ob in seriösen Printmedien, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder in Social-Media-Kanälen  – entgehe ich nicht einem Erregungsniveau der Dramatisierung, Skandalisierung,  schwappt eine Welle von Empörung über mich hinweg. Es gibt kaum Ereignisse, die nicht als Katastrophe bewertet werden. Differenzieren und damit klärendes Distanzieren muss ich als bewusste Reflexionsanstregung aktivieren, was nicht leicht fällt (das sgn. Normale ist, tlw. verständlich, sowieso in Verruf geraten). Der sich eingebürgerte Begriff meint mit Katastrophe „Ereignis mit verheerenden Folgen“, demnach leben wir mitten in einer  Verheerung (?). Wendet man den Ursprungsbegriff aus dem Griechischen an, dann hätte man es nur mit einer „Umwendung“ zu tun; nun, das haben bemerkenswerte Ereignisse meist so an sich. Emotional hilft mir diese Erkenntnis jedoch wenig.

Katastrophen erzeugen (wahrscheinlich nicht nur in mir) sehr unterschiedliche Affektlagen, einerseits Entsetzten mit einer seltsamen Verknüpfung mit Faszination, und wenn man davon unmittelbar betroffen ist, zugleich Ohnmacht und der damit verbundenen Wut; nur auf wen  und auf was denn? Wer oder was versagt gerade, alles, wenn es doch nur mehr Katastrophen gibt? Worin und worüber zeigt sich eigentlich meine Betroffenheit? Und wenn ich diese zulasse, was kann ich als Einzelner, als verantwortlicher Bürger tun? 

Jetzt wo ich diesen Post verfasse, empfinde ich – trotzt der Berichte über die aufgepeitschten Gefühlslagen – weder Panik, Verzweiflung oder tiefgehende Wut.
Ein zumindest erstaunlicher Befund.
Ich erlebe mich weder als abgestumpft, unsensibel, noch als gleichgültig (Selbsttäuschung nicht ausgeschlossen). Ja, ich bewerte die kaum mehr zu überschauenden Widersprüche, die nur bedingt zu verstehenden Ereignisfolgen und Entwicklungen als höchst beunruhigend und unzumutbar. Dennoch kann ich mit Freunden lachen, ohne Schuldgefühle ein gutes Glas Wein genießen, entspannt meiner Arbeit nachgehen;  was von bestimmten Perspektiven empört gecancelt werden könnte.

Wem geht es ähnlich und wie kann man sich diese Differenzen erklären?
Meine dzt. Erklärung und Lösung:
Wir haben es – neben allen Tatsachen, die ich als schrecklich bewerte – mit zwei unterschiedlichen, sich selbststeuernden, selbstverstärkenden kommunikativen Prozessen zu tun; die sich sowohl wechselseitig beeinflussen als sich auch voneinander entkoppeln.

Das eine ist der mediale – öffentliche Kommunikationsprozess, in dem jede Äußerung  eine unsagbare Anzahl an weiteren Äußerungen auslöst. Und wenn keine Stoppregeln eingebaut sind, löst jede Kommunikation ihre Anschlusskommunikation aus.
Die  Katastrophen- und Empörungskommunikation eskaliert sich von selbst. Ein systemisches „Gesetz“: Kommunikation „ernährt“ und erhält sich nur durch Kommunikation. Diese Sache läuft nun mal, mit und ohne mich.

Das andere sind unsere jeweiligen psychischen (innerlichen) Bewusstseinsprozesse. Das hat weitestgehend mit mir zu tun. Auch Gedanken und Gefühle erzeugen ihren eigenen Selbsterhaltungskreislauf. Das kann durchaus zu einer Problem-Trance (man sieht nur das, was nicht geht) führen, muss aber nicht!  Man kann innerlich Stopp sagen, Gedanken anders denken, nach erfreulichen Nachrichten, nach Lösungen, nach Entspannung suchen. Gelassenheit erzeugt Gelassenheit. Es gibt diesen schönen Begriff der „Selbstermächtigung“.

Diese Unterscheidung hilft mir, das, was da medial so dramatisch abgeht, als etwas von mir zu Unterscheidendes  wahrzunehmen.
Diese Unterscheidung hilft mir zu entscheiden, wie und ob ich diesen Kommunikationsprozess mit meinen Posts und mit welchen Qualitäten befüllen will. Im Wissen, das wird Auswirkungen auf meinen Bewusstseinsprozess haben. Und es hilft mir zu unterscheiden – und damit der Ohnmacht zu entgehen – worauf kann ich aus meiner Position, mit meiner Rollen, mit meinen Kompetenzen Einfluss nehmen, wo kann ich – auch mit anderen – wirklich Wirksamkeit erzeugen und wo nicht!  Eine hilfreiche Begrenzung, man kann es Bescheidenheit nennen; auch dazu gehört Mut.
Bei der Entscheidung, wofür setze ich mich womit ein (oder eben nicht), hat sich für mich ein einfache Checkfrage bewährt.
Lässt sich das, was ich tun und erreichen möchte mit der Eigenschaft AGILE•ROBUSTHEIT charakterisieren? Ein Begriff, der für sich alleine nicht meine Werte, meine Visionen von den Verhältnissen erfasst, der jedoch Balancierbarkeit, das Vermeiden von Einseitigkeit und zugleich Fassbarkeit, Realisierbarkeit sicherstellt.
AGILE•ROBUSTHEIT als Bewertungskriterium hilft, dass weder unverrückbare Festlegungen („In Stein gemeißelt“) noch Beliebigkeiten entsteht. Ich kann mich fragen, ermöglichen meine Entscheidungen einerseits klare Ausrichtungen, ohne andererseits  neue Pfadabhängigkeiten zu schaffen, erlaubt die Festlegung durch meine Entscheidung weitere Optionen? 

Mit dieser „einfachen Paradoxie“  kann ich gut die Erregungswellen beobachten, mich – wenn mir danach ist – sowohl  entziehen als auch  versuchen auf ihnen zu surfen.  

Wem geht es da ähnlich oder ganz anders?