Die Sache mit dem Fokus…

28. Mai 2012

Wien, Praterstern 7:30, Herr Kainberg, Bereichsleiter in der HBR-Bank,  will so schnell als möglich von der U1 zur Station der U2. Ohne Nachzudenken richtet er seine Wahrnehmung auf „Weite“, auf Bewegungen und unterschiedliche Tempi, auf schmale Lücken, die sich öffnen und sofort wieder schließen, er vergleicht im Augenblick die Anzahl der Menschen auf den Stiegen mit jenen auf der Rolltreppe, seine Entscheidungen  trifft er im Gehen und wahrt so die Chance, die nächste U-Bahn zu erreichen. D.h. sein Fokus ist auf die Ränder, auf den Fluss, auf Blockaden und auf Gelegenheiten und nicht auf den „einen richtigen Weg“ gerichtet. Einzig seine „Vision“ – pünktlich zur Präsentation zu kommen –  bestimmt das Tempo und seine Aktion, vielleicht wirkt noch der Wert, niemanden zu rempeln; aber den braucht es gar nicht, denn ein Zusammenstoß würde ihm mehr Zeit kosten, als er durch ein „nichts wie durch“, gewinnen könnte.
Linz, Stadion, Leichtathletikwettbewerb, lauter Jubel um Franz Stadler, das junge Ausnahmetalent im Zehnkampf. Er steht ruhig und voll konzentriert am Ablauf. Stabhochsprung, die Latte ist auf 5.30 aufgelegt. Die Vision, das Erringen der Goldmedaille, im Augenblick „vergessen“, das Überqueren der Höhe ist jetzt nicht das Ziel.
Was immer auch rund herum geschieht, der gerade gestartet 5000m-Lauf der Herrn, der Hammerwurfwettbewerb auf der anderen Seite des Stadiums, die Konkurrenten am Rande, die Zuschauer auf den Rängen, all das tritt völlig in den Hintergrund, verschwindet aus der Wahrnehmung, der Fokus ist ganz auf einen Punkt gerichtet, dort hin wo der Stab zu setzen ist, auf die exakte – tausendmal eingeübte – Schrittfolge, auf den einen Schwung beim Abheben….
Die Sache mit dem Fokus…
„Fokussieren auf die Kernkompetenz, Fokussieren auf den Zielmarkt, auf eine klare Portfoliostrategie ausrichten, das  Ziel nie aus den Augen verlieren,…“ einleuchtende Managementkonzepte, wenn sie Athlet sind.
Sollte ihr Unternehmen, Ihr Projekt  sich in einer höchst dynamischen Umwelt bewähren, in einer Welt mit vielen Mitspielern, die nach kaum berechenbaren Strategien agieren, in der kaum eindeutige Muster erkennbar sind, wo Planungsaussagen gerade mal die  Qualität einer Wette mit wenig präzisen Wahrscheinlichkeitsquoten erreichen, wo jede Option mit einer anderen relativiert werden kann, dann bräuchte das Unternehmen eine Organisation, die es den Akteuren ermöglicht, mit den Fähigkeiten und Kompetenzen des sich lustvoll ins Geschehen werfenden „Morgensprinters“ zu handeln. Eine Organisation, die von ihren Mitarbeitern erwartet, dass sie autonom und hoch achtsam auf das Umfeld im Blick habend, das übergeordnete Ziel nicht aus den Augen verlierend,  Chancen erkennen, spontan entscheiden, Fehler rasch korrigieren, die nicht abwarten, ob sie Anweisungen für einen anderen Weg erhalten, sondern die eigenständig – klug und intuitiv – entscheiden, ob es besser ist zu warten, bis der Trubel sich beruhigt hat, um seitlich am Pulk, mit höherer Geschwindigkeit vorbei ziehen zu können, oder Lücken erkennend, gerade die Turbulenz mit tänzerischer Eleganz für sich zu nützen wissen.
Wir nennen solche Organisationen „fluide“. Die Führungskräfte in diesen Organisationen sind (postheroische) Leader, Impulsgeber, Ermöglicher, Sinnstifter, Rahmenschaffer, Beobachter, Reflexionsgenies, Fragende und wenn erforderlich knallharte Entscheider.