„Hochfahren“ – mit Paradoxien.

24. Mai 2020

Lesezeit 5 Min.

„Hochfahren jetzt“. Aber wohin fahren wir dann? Zurück in die Zukunft? Zum “Neuen Normalen”? Was ist das dabei das Neue, was das Normale? Wie erkennt man Chancen, ohne sich in Illusionen zu verlieren? Was ist es wert beizubehalten und welche alten Konzepte und Formen will man nicht mehr wiederholen?
Diese Fragen und erste Versuche Antworten zu finden, konfrontieren mich und – wie ich weiß – viele andere mit sehr widersprüchlichen Gefühlen. Neugier und Wut, Hoffnung und Angst, Freude und Erschöpfung, Mut und Resignation.

Paradoxie des Wissens

Selten waren wir so eindeutig mit Vieldeutigkeiten konfrontiert, wir sehen Zahlen und Kurven, die Situationen präzise darstellen sollen und gleichzeitig muss auf die Ungewissheiten, auf das Nicht-Wissen-Können verwiesen werden.
Wir müssen lernen die Paradoxie des Wissens zu akzeptieren. Auf der einen Seite sehen wir den letztlich noch immer kleinen Korridor der Eindeutigkeiten und Kausaltäten und rund herum das weite (unendliche?) Feld der Vielfalt, der Überraschungen, der Komplexität.  Je mehr wir wissen, umso deutlicher wird, was wir nicht wissen. (Das hat schon mit einem ironischen Augenzwinkern Sokrates von sich behauptet). Nur Verschwörungstheoretiker meinen, eindeutige Antworten zu haben. Antworten, die jenseits jeder Rationalität Schein-Sicherheiten vermitteln. Werden doch Kausalitäten behauptet, die eigentlich auf Bedrohungen (der Teufel in Bill Gates, die Mafia, China, …) fokussieren. Nicht einmal diese (Kausalitäten) entgehen den Paradoxien.

Was ist noch in Stein gemeiselt?

Im Prozess des Lockdowns war es auf einmal möglich in fast atemberaubender Geschwindigkeit fixe Paradigmen zu wechseln, es zeigte sich, dass das sgn. „Undenkbare“ doch schon gedacht, aber nicht opportun war. Persönlich hoffe ich, dass wir diese ungewöhnliche Flexibilität auch im ‚Hochfahren‘ nutzen: anderes wahrzunehmen, anders zu beobachten, anders zu bewerten, mit anderen Annahmen zu operieren, dann könnte es gelingen neue Formen des Arbeitens, des Wirtschaftens, des Umgangs mit Kooperation und Konkurrenz, des Lebens zu kreieren und zu realisieren. (Dazu gehört auch zu erkennen, wie uns Sprache im alten Denken festhält: „zur Normalität zurückkehren“ suggeriert, als können wir im Vorwärtsgehen gleichzeitig zurück gehen)

Die Kunst los zu lassen – die Paradoxie der Trauer

Damit  Hier&Jetzt, auf diesem Weg nach vorne, in die Zukunft Neues entstehen kann, müssen wir zuerst bereit sein Abschied zu nehmen, müssen wir uns von gewohnten Formen, sicheren Annahmen und berechtigten Wünschen lösen, vom >Problem-lösen<. Und, Abschied nehmen heißt, sich auf das Gefühl der Trauer einzulassen. Auch auf die Gefühle der Ungewissheit und Unsicherheit.

Das schreibt sich so leicht, und zugleich weiß ich – aus eigenen, auch schmerzhaften Erfahrungen – dass dies ein schwer begreifbarer emotionaler Prozess ist. Trauer ist das seltsamste Grundgefühl, soll es doch im Blick zurück – auf die verlorene Zeit – den Weg in die Zukunft öffnen.
Paradoxie pur:
gleichzeitig das, was bisher war und nicht mehr sein wird, voll ins Bewusstsein holen, das Schöne, Wunderbare, das Glückhafte, Freudige was damit verbunden war sehen, empfinden, annehmen und in aller Deutlichkeit spüren, dass es dieses NICHT MEHR GIBT, dass es so nicht wiederkommt. Radikal den Verlust zulassen, dazu braucht es mehr Mut als Wut. Nicht umsonst spricht man von „Trauer-Arbeit“. Ein Prozess, der jede tiefgreifende Veränderung begleiten sollte.

Das ist nicht als Empfehlung zu masochistischen oder nostalgischen Übungen zu verstehen, nicht als (wienerisches) sentimentales Nachweinen, wieviel besser es doch früher war. Das hielte die Entwicklungen zu Neuem nur fest und würde die Gegenwart relativieren. Und umgekehrt, ist die Entwertung des „Nicht-Mehr“ (‘es war ja doch nicht so wunderbar, wie ich mir immer vorgemacht haben’) ist wenig hilfreich, sondern schafft nur die Voraussetzung für Aggression oder Depression – keine gute Quellen für neues Glück.

Das Dramolett der Clowns

Aber man kann ‚Trauer-Arbeit‘ auch kreativ, spielerisch gestalten, hier eine Idee dazu:
Ein Gedankenspiel (unter dem Motto, das wahre Abenteuer beginnt in Deinem Kopf) oder als reales Rollenspiel mit lieben Freunden gestaltet.
Das > Dramolett der 3 Clowns<.
Die Szene 1 gehört dem liebevollen, erinnernden Dialog des traurigen mit dem lachenden Clown.
Pause.
In der Szene 2 beginnt der staunende, naive, ungebundene Clown Entwürfe zu kreieren und die neue Lebenslust zu entdecken.
Pause.
In der Szene 3 lassen der traurige, der lachende und der naive Clown für einige Minuten ihren Gedanken freien Lauf und halten sie in fröhlicher Schwebe.
Ende des Dramoletts.

Das Dramolett ist kein oberflächliches „dahin blödeln“, sondern vertraut auf die Kraft des Homo Ludens; ganz im Sinn von Schiller: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ 
Paradoxien verlangen nach einem spielerischen Zugang; wie sonst soll man mit der logischen Ausweglosigkeit zurande kommen? Das Spiel, gepaart mit Humor und liebevoller Ironie ist die adäquate Form im Feld der unbegreiflichen Komplexität handlungsfähig zu bleiben. Es erweitert das Denken und öffnet zu überraschenden Lösungen.