Über-Leben im Spannungsfeld von Wissen – Nichtwissen-das Dilemma des Entscheidens

30. Juli 2020
Beobachten wir zuerst das >Zweite Dramolett der 3 Clowns<

Der sentimentale, philosophische Clown in Denkerpose, die er sich bei Rodin abgeschaut hat:
„Wie war das Leben doch schön, das Oben war oben, das Unten war unten und die Manege immer rund. Alles war wohlgeordnet und wenn ich dachte, blieb mein Gehirn ruhig und klar.“
Der freche Clown, Räder schlagend:
„Bla bla bla, Du Dummkopf, nichts als Pose, nichts weißt Du, noch sonst wer. Nur die Verwandten von Till verstehen die Welt, alles andere ist Scharlatanerie, Verblendung, Komödie, Farce oder Tragödie!“
Der naive, staunende Clown, eine Blume im Mund, in der Hand eine Laterne:
„Schaut wie schön, so habe ich diese Manege noch nie gesehen, und wer ist diese schöne Unbekannte, so rätselhaft? Die will ich umarmen und dabei mehr erfahren, die Poesie ist die Antwort, oder?“
Eine Trompete spielt „La Strada“ (ja kein Klischee auslassen) – die drei halten inne, halten Abstand, schauen sich an, schauen sich in die Augen, schauen sich um. Ein Wind bläst, die Zeltplanen heben sich. Welche Welt sehen die Drei?
Ende.

Corona und die veränderten Perspektiven

Corona und wie darauf reagiert wurde, noch reagiert wird, hat (zumindest vorübergehend) das Erkennen, das Bewerten und Verstehen der Welt verändert. Gesellschaftlich und in Organisationen ist noch nicht entschieden, ob zum Besseren oder zum Schlechteren und auch diese Etiketten sind noch nicht verhandelt. Eines wurde deutlich, Wahrnehmen, Beschreiben, Bewerten fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis von Entscheidungen. Der Clou: eine Entscheidung folgt stets unseren Entscheidungen über Selektionen, was wir wahr und wichtig nehmen, über Annahmen von richtig und falsch, über Werte und Paradigmen.
Die Welt neu zu sehen heißt, das Entscheiden neu zu denken.

Was bleibt:

Es muss weiterhin beobachtet, analysiert, experimentiert, gestaltet, gehandelt, Verantwortung übernommen, überzeugt, zum Mitwirken eingeladen werden. Es muss weiterhin Führung organisiert werden. Aber das kann nun auch ganz anders geschehen ­­- sicher beunruhigend, aber eine großartige Chance.

Was sich ändern darf:

Entscheiden und Handeln kann sich nicht mehr auf einfache Ursache-Wirkungszusammenhänge „zurückziehen“. Widersprüche, ich nenne sie lieber Paradoxiefelder, sind „alltagstauglich“ geworden.  Paradoxien waren schon immer wirksam, aber man konnte oft eine Seite ungestraft übersehen. Die berühmteste ironische Benennung der Paradoxie von „Wissen und Nichtwissen“, die man Sokrates zuschreibt, gewinnt neues Gewicht.
Welche Führungskraft, welche Expertin, welcher Politiker durfte vor Corona schon sagen, dass er oder sie etwas NICHT weiß, gar nicht wissen KANN?

Wie nun anders entschieden werden darf:

Diese Erkenntnis, etwas nicht wissen zu können (so es kein kokettierendes Eingeständnis ist), bietet wirklich eine Chance, mit mehr Achtsamkeit und mehr Perspektivenvielfalt Entscheidungsprozesse interdisziplinär zu gestalten. Ich bin sicher – ohne es wissen zu können – das wird die Ergebnisqualität und die Akzeptanz verbessern, ohne den Entscheidungsprozess zu sehr zu verlangsamen.

Das Leben mit dem Dilemma:

Darüber hinaus wird uns nahezu täglich das Entscheidungsdilemma vorgeführt und in der Kommunikation über das Entschiedene „mitgeführt“: Entscheidungen, die sich nicht im Feld von „Maschinen“, im Feld der Technik, tw. der Naturwissenschaften bewegen, sind immer davon bestimmt, dass man vor dem Handeln nicht wissen kann, welche Folgen die Entscheidungen haben werden (wie umfangreich man auch analysiert hat). Wenn das den Entscheiderinnen und Entscheidern zum Vorwurf gemacht wird, wirkt das wie Zynismus oder ist ein unseriöses (politisches) Kalkül, da die Kritisierenden ja selbst diesem Dilemma nicht entkommen.

Vor der Erfahrung mit Corona, vor dem neuen Umgang mit dem Ungewissen, musste man so tun, als ob man die Zusammenhänge komplett durchschaue und die Auswirkungen wirklich wüsste.
Die Akzeptanz des Nichtwissens wird das Beobachten der Auswirkungen von Entscheidungen schärfen. Man wird auf kleine Abweichungen, auf das Nicht-Vermutete besonders achten. Feedbackprozesse werden wirklich installiert und ernst genommen und Korrekturen kurzfristig entschieden.

Die Auswirkungen von Corona hat die Welt des Entscheidens in Organisationen und politischen Institutionen in einer Geschwindigkeit verändert, wie es kein noch so ambitionierter Changeprozess zustande gebracht hätte.