Macht Angst Ohnmacht oder „lassen wir sie ruhig schreien“
25. November 2015
In der Süddeutschen Zeitung hieß es „wer (bei VW) aufgemuckt hat, ist niedergebrüllt worden“.
Nun, ich vermute nicht alle Führungskräfte werden dort so gehandelt haben – sonst wäre das Unternehmen nicht so erfolgreich, aber dass der Führungsstil von Piëch, Winterkorn u.a. nicht gerade von Sanftheit geprägt war, hörte man immer wieder.
Wie mächtig und vor allem wie stark sind jene wirklich, die ihre Argumente mit einer Lautstärke versehen, dass man die Inhalte gar nicht mehr wahrnehmen kann, und man nur mehr an einer Demonstration teilnimmt; einer Demonstration, die natürlich beschämt (wenn man keine dicke Haut hat), und die auf Vernichtung zielt.
Der Schreiende (und leider auch der Angeschrienen) merkt nicht, dass er gerade eine paradoxe Kommunikationssituation geschaffen hat: er will den anderen „vernichten“, damit dieser nicht Zeuge der Scham des Schreienden wird. Wer kennt nicht Situationen, in denen man (mehr oder minder) plötzlich die Begrenzung von Kompetenz, Einfluss, Kontrolle erfahren muss.
Der erlebte (inhaltliche oder soziale) Verlust an Potenz und die damit verbundene Scham soll über den Schrei – den sich ein Unterstellter selten wird leisten können – ausgeglichen und die Machtposition wieder hergestellt werden. Das erst darüber die eigene Ohnmacht sichtbar wird, entzieht sich dem Schreienden, wenn ihm erst die Emotion „erfasst“ hat. Der Verlust an Sicherheit soll durch das Primatengehabe vor sich selber unsichtbar gemacht werden. Die Position in der Hierarchie schützt davor, dass diese Paradoxie zur Lachnummer wird; an der Position kann letztlich nur der jeweils im Rang höhere (CEO, Aufsichtsrat) rütteln.
Wer Selbst sicher ist, muss nicht zu gewalttätiger Kommunikation greifen. Aber aus eigner Erfahrung kenne ich Situationen, in denen ich meiner nicht mehr so sicher war, in denen eine andere Meinung, eine Kritik, vielleicht sogar wohlmeinendes „Feedback“ an der Substanz kratzen konnten, und dann…
Die dann folgenden Szenen sind für niemanden erfreulich, sie werden aber erst dann sachlich, inhaltlich gefährlich, wenn die Strukturen und die damit erwarteten, erlaubten und nicht erlaubten Verhaltensweisen (nennen wir es Kultur), die Asymmetrie stützt und der eine weiß – jetzt muss ich kuschen, will ich nicht meinen Job riskieren. Wem will man dann Unterwürfigkeit vorwerfen?