Heroische Führung – ewiger Mythos? Neue Realität? Beides gleichzeitig?
15. Dezember 2015
Auszug aus dem kommenden Buch (Achtung, der neue, endgültige Titel):
„Über Leben in der Gleichzeitigkeit – Leadership in der Organisation N.N.“
Blog der vierte:
Betrachtet man die politischen Führungsfiguren und deren Selbstinszenierungen, wie in den Medien über deren Arbeit berichtet wird, mit welchen Schmähungen sie kommentiert werden, wenn Heilserwartungen (die sie selbst aus guten Glauben, Angst oder Selbstüberschätzung erzeugt haben) enttäuscht und herkulische Aufgaben nicht in Rekordzeit bewältigt wurden, dann frage ich mich, wann zuletzt ein anderes Bild von Leadership denkbar war.
Als in vielen Unternehmen und Organisationen die sgn. postheroische Ära eingeläutet wurde, dachte ich, endlich hat sich der Entzauberungsprozess, der in den späten 60er Jahren (!) des vorigen Jahrhunderts mit der „Krise der Hierarchie“ begonnen hat, von einer Randerscheinung zum Mainstream ausgedehnt. Der Optimismus war verfrüht. Nach fünf Jahrzehnten werden nachwievor die Erfolge und Katstrophen von Organisationen kausal mit der Person an der Spitze verknüpft. Welche Art von Menschen man heute an die Spitze eines Unternehmens, einer Partei, einer Organisation berufen soll, welche Fähigkeiten, wie viel Kühnheit, rationale Kühle, warme Emotionalität sie mitbringen müssen, um Turbulenzen zu managen, Stakeholder zu überzeugen, nach innen glaubwürdig und motivierend, nach außen vertrauenerweckend und stabil zu wirken – diese Frage bleibt brennend, und die meisten Antworten werden offenbar immer noch unter falschen Prämissen gegeben.
Wenn man von der Semantik der Berater absieht und auf die gängigen Metapher im Unternehmensalltag hört, dann scheint die Vorstellung von Organisationen als Räderwerken, als Maschinen mit mehr oder weniger Sand im Getriebe unausrottbar (das gilt auch für Unternehmen, die nichts mit Produktion und Maschinen zu tun haben). Es mutet mich seltsam an, dass man versucht mit der Begriffswelt der Dampfmaschinen-Ära im Zeitalter des Internet und der Künstlichen Intelligenz soziale Systeme zu beschreiben.
Angebote für realitätsnähere Analogien setzten sich nur sehr zögerlich durch. Verständlich, denn sobald man Unternehmen als kybernetische Kreisläufe oder Organismen, Organisationen als komplexe Netzwerke, Abteilungen als lebendige Ökosystem plastisch begreift (was schwierig genug ist), werden auch die Grenzen der herkömmlichen Vorstellungen von Führung und Steuerung sichtbar.
Auch der „Kapitän auf der Brücke“ wird immer noch gerne zitiert, aber welches Unternehmen ist ein stabiles Schiff, das durch den Weltmarkt fährt? Wie es greifen? Wo sind seine Grenzen, wie ist seine Gestalt?
Was möchten Sie sein?
Industrie-Kapitän, das war ein schönes Bild, im Gespräch mit Frau, Kindern, Journalisten leicht zu vermitteln, befeuert vom perfekten Mix aus Romantik, Abenteuer, Kompetenz und Verlässlichkeit.
Und heute? Wie umreißt man kurz und knackig Leadership, entwirft für den Inhaber der Funktion ein attraktives Rollenbild und vermittelt allen interessierten Beobachtern das beruhigende Gefühl, das Geschehen sei in guten Händen?
Wären Sie gerne Industrie-Moderator? Innovations-Gärtner? Team-Biologe? Pfleger, Supporter, Ermöglicher? Trifft das, angesichts der Mühen und Risiken einer Spitzenposition?
Das Außerordentliche der Aufgabe fokussiert nach wie vor alle Aufmerksamkeit und Hoffnung des gesamten Umfeldes, selbst coolster Analysten, auf Führung. Der CEO wird zugleich an der Spitze und im Zentrum „verortet“.
Das Pyramidenbild der Hierarchie ragt unverdrossen allen Zeitströmungen entrückt in unseren Köpfen, so wie seine architektonische Verkörperung im Wüstensand von Gizeh.
Alle, der Positionsinhaber wahrscheinlich eingeschlossen, erwarten von der Person an der Spitze das einzigartige und besondere Gelingen, die Lösung aller Probleme, den Durchbruch, die begeisterte Mobilisierung, die geniale Strategie und ihre erfolgreiche Verwirklichung.
Gewollt oder ungewollt: der Heldenmythos lebt. Vielleicht, weil der heroische Führer ein Archetyp ist. Weil sich keine Story ohne Helden erzählen lässt. Oder weil die Turbulenzen und Unwägbarkeiten nicht
erträglich wären, würde man nicht den rettenden Superhelden in den Chefsessel imaginieren.
Wenn man glaubt, dass die Welt aus den Fugen gerät,… mehr dazu im nächsten Blog