Sorgen Sie sich nicht um Vielfalt – sie IST.

20. September 2019

Um als Organisation agil zu sein, muss Führung – so wird immer wieder gefordert – Perspektivenvielfalt ermöglichen und sicherstellen. Wo ist das Problem? Verbirgt sich in diesem „Ermöglichen und Sicherstellen“ die Vermutung, Organisationen machen „einfältig“ oder es wird ohnehin Vorhandenes nicht gesehen oder verborgen?
Die Vielfalt an Perspektiven ist gar nicht zu vermeiden.
Sie ist schlicht vorhanden.
Wenn in einem (eher traditionellen) Meeting 15 Teilnehmende mehr oder minder fasziniert auf die Powerpointfolie des Vorstandes mit den drei zentralen Sätzen zur neuen Strategie schauen, werden 15 (mehr oder minder) unterschiedliche Bilder, Vorstellungen, Chancen, Risiken, Freuden, Unbehagen im Raum entstehen. Vielfalt ist also da. Immer. Wenn nach den ersten Resonanzen und dem anschließenden „Strategie-Dialog“ der CEO zufrieden den Konsens, die einheitliche Sicht begrüßt, haben er und seine ‚Gefolgschaft‘ eine erstaunliche und hoffentlich sinnvolle und  notwendige Reduktionsleistung vollzogen: Die Vielfalt wurde semantisch zur Einheit „erklärt“. Für diese rhetorische Konstruktion ist es auch gar nicht relevant, was jeder mit dem Satz „wir haben eine gemeinsame Sicht“ nun verbindet. Es wurde ein Ergebnis erzielt, der nächste Agendapunkt kann besprochen werden.
Was würde ein Berater in diesem Augenblick auslösen, würde er den Satz von Niklas Luhmann „mein Konsens ist nicht dein Konsens“ zitieren? Kann man mit der „Als-ob-Einheit“ leben? Das hängt davon ab….
Unterschiede wirken
Die Unterschiede werden sich ohnedies später zeigen, wenn die einzelnen Bereichsleiterinnen auf Basis der „gemeinsamen Sicht“ ihre Entscheidungen zu treffen und zu verantworten haben. Zweifelsohne werden das alle, incl. CEO, beobachten können. Wird dieser nun „toben“ oder mit einem selbstbewussten Lächeln Luhmann selbst zitieren? Letzteres, sinnbildlich gesprochen, finden wir in vielen agilen Organisationen. Sie reagieren damit rasch auf Unterschiede oder Überraschungen.
Vielfalt managen
Die Kunst ist also nicht, die Perspektivenvielfalt zu ermöglichen, sondern sie einerseits klug – dem Kontext entsprechend – zu reduzieren, damit gehandelt werden kann, und sie andererseits organisatorisch abzubilden und damit sicherzustellen. Und Führungskräfte sind gut beraten unterschiedliches Handeln zuzulassen, im Vertrauen, dass die jeweiligen Expertinnen und Entscheiderinnen kommunikativ klären, was für ihre Gegenüber (interne, externe Kunden und Lieferanten, z.B.) sinnvoll ist, natürlich im Rahmen der Grundsätze und Ausrichtung des Unternehmens.
Vertrauen hilft von der (traditionell gewohnten) Vorstellung Abschied nehmen, man könne (auch) eine agile Organisation zentral steuern.

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Die Inhalte meiner Blog-Serie sind Spots und Reflexionen zum Thema:
„Führen in der Ungewissheit – Mut zum Sowohl-als-auch“

Zum Autor:Herbert Schober-Ehmer (Geschäftsführender Gesell­schafter im Redmont Consulting Cluster) ist systemischer Organisationsberater, Executive Coach und Autor. Er ist ein Doyen der Wiener Schule der Organisationsberatung, seit über 40 Jahren als Senior Consultant, Trainer, Coach und Lehrbeauftragter tätig. Weitere Artikel u.a. in changeX, Wissensmanagement,  Personal Manager.
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