Vom Wünschen und Erwarten – ein kleiner, feiner Unterschied

23. Dezember 2019

4. Adventsamstag, sehr frühlingshaft, statt Weihnachtsmarkt ein Waldspaziergang, unvermittelt kam mir Goethes „ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn“ in Erinnerung.
Ein wunderbarer Kontrapunkt in dieser Zeit des Wünschens.

Wünschen, hoffen, erwarten, Freude und Enttäuschung oft nah beieinander. Ich erinnerte mich, wie mir in meinen alltäglichen Bezügen und in meiner Arbeit als Berater der Blick auf den Unterschied von Wunsch und Erwartung schon oft geholfen hat, Enttäuschungen oder Missverständnisse zu vermeiden. Diese Erfahrung möchte ich jetzt einfach teilen.
In dem so scheinbar einfachen Thema ‚Erwartung‘ sind (mindestens) fünf Aspekte ein-gefaltet, die Quellen von Klärung oder Irritation sein können:

Der Widerspruch von Passivität und Aktivität

Passivität des (Er-)Wartens und Aktivität des (Ein-)Forderns wirken als unauflösliche Widersprüche, die in der Kommunikation zur Verwirrung führen können. Wartet der andere (geduldig) oder fordert er (ungeduldig)? Die „Sei-spontan-Paradoxie“  lässt grüßen.

Verbindung und Bindung

Die Verbindung und damit auch Bindung an den- oder diejenige, an den oder die die Erwartung adressiert wird. Der Adressat, die Adressatin wird zur Quelle, zur Ursache von Freude (Erfüllung der Erwartung) und Frustration (Nichterfüllung) gemacht.

Die Notwendigkeit der Kommunikation

Nur in Phasen der Verliebtheit genießt man die Illusion, der andere würde einem alle Wünsche von den (schweigenden) Lippen ablesen. Trägt man im nüchternen Alltag die Erwartungen jedoch nur mit sich herum, kann es einem wie dem Herrn im  berühmten Beispiel von Paul Watzlawick (Anleitung zum Unglücklich sein) ergehen, der erwartet, sein Nachbar möge ihm doch einen Hammer leihen, welcher von dieser unausgesprochen Erwartung jedoch nur über den Zorn der Nichterfüllung erfährt.

Die Notwendigkeit konkret zu werden

Dazu hilft die vielleicht seltsame Frage: woran werde ich merken, dass meine Erwartung erfüllt wird? Das verwandelt eine vage Hoffnung in konkret Beobachtbares.

Die Notwendigkeit des „Verhandelns“

Ein Prozess des echten Austausches, wo die Perspektive, die Möglichkeit des Anderen Teil der eigenen Erwartung werden kann. Der folgende Satz klingt so schrecklich banal oder selbstverständlich und wird – vielleicht deshalb – im täglichen Kommunikationsgeschehen oft vergessen: die Begründung der Erwartung, die Einblick gibt, was einem die Erfüllung der Erwartung durch den Anderen an weiteren Handlungen ermöglicht. Man gewährt Einsicht in die eigenen Vorstellungen, das erleichtert ein Commitment.

99 Luftballons auf ihrem Weg zum Horizont

Der Wunsch ist ungebunden, er ist unverhandelbar, er IST, in ihm lebt das freie Element, in ihm ist die wunderschöne Paradoxie von Bindung und Freiheit eingewoben.
Nicht umsonst gibt es – soweit ich gehört habe – weltweit den Brauch, Wünsche fliegen zu lassen. Man knüpft die Wünsche an einen Ballon, lässt ihn steigen und vertraut. Wem auch immer, dem Zufall, dem Himmel, dem Universum, den Sternen, der Kraft der eigenen Ausrichtung, dem absichtslosen Wollen.
Und manchmal sollte man sich fragen, welcher ‚eigentliche‘ Wunsch, welches Bedürfnis ist in dem Offensichtlichen noch eingebettet?

Geben Sie dem eigenen Wunschbild Ihre Imagination mit: „Mein Wunsch hat sich erfüllt, wie sieht dann mein Leben aus, wie entscheide und handele ich, welche Gefühle tragen dieses wunderbare Neue, wie werden mich andere erleben.“ So aufgeladen und freigegeben kann der Wunsch seine Wirkung entfalten.
In diesem Sinne wünsche ich meinen Leserinnen und Lesern eine schöne Zeit des Wünschens und der Wunschlosigkeit.

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Die Inhalte meiner Blog-Serie sind Spots und Reflexionen zum Thema:
„Führen in der Ungewissheit – Mut zum Sowohl-als-auch“

Zum Autor:Herbert Schober-Ehmer (Geschäftsführender Gesell­schafter im Redmont Consulting Cluster) ist systemischer Organisationsberater, Executive Coach und Autor. Er ist ein Doyen der Wiener Schule der Organisationsberatung, seit über 40 Jahren als Senior Consultant, Trainer, Coach und Lehrbeauftragter tätig. Weitere Artikel u.a. in changeX, Wissensmanagement,  Personal Manager.
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