Franziskus und das Management von Ungewissheit
14. Dezember 2018
Unabhängig, wie man zu Papst Franziskus und zur katholischen Kirche steht, in seiner Rolle ist er der CEO eines multinationalen Dienstleistungsunternehmens (und das ist keine Blasphemie). Aktuell, ein verdammt harter Job. Ungewissheit lauert an allen Ecken, im und vor dem Vatikan.
Was macht seine Wirksamkeit aus? Was kann man, wenn man will, von ihm lernen?
Aus meiner Beobachtung beruht sie auf der gelungenen Verknüpfung von sechs Dimensionen:
1. Tief verinnerlichte Überzeugungen und die davon inspirierten Visionen,
2. Achtsamkeit auf Sprache und Begriffe,
3. konsistente Handlungen,
4. wirksame, glaubwürdige Symbolik und die Kunst der Inszenierung,
5. Interventionen in Strukturen und Muster der Organisation,
6. Mut zu Konflikten, ohne jeden „angebotenen“ Konflikt aufgreifen zu müssen.
(Die Zitate und Beispiele stammen aus Berichten unterschiedlicher – vor allem nicht kirchlicher – Medien.)
1. Tief verinnerlichte Überzeugungen und die davon inspirierten Visionen:
- Für den Glauben und die tiefe Überzeugung von der Möglichkeit einer friedfertigen Welt sind Kriege und Verfolgung keine Gegenbeweise, sondern die Gegebenheiten und Orte, wo Veränderungen ansetzen müssen.
- Es gibt kein „Unmöglich“. Wer sich die Welt anders vorstellen und denken WILL, KANN sie auch neu gestalten.
- Begrenzungen und Hindernisse zu erkennen macht klug und gibt meist Hinweise, wie man sie bewältigen kann („Ich glaube, Jesus ist im Inneren der Kirche und klopft, weil er herauswill“).
- Wichtiges bewahrt sich selbst, das braucht keine Dogmatik.
- Der Glaube an einen universellen Sinn und die Kraft des Spirituellen, Erdverbundenheit und das Ruhen in sich selbst geben Beweglichkeit, Offenheit und Kraft für Neues.
- Der Mut zum Dienen schafft Sicherheit und Kühnheit, die eigene Position ohne Zögern für die Realisierung der Visionen zu nutzen.
Der Dialog ist die Voraussetzung für die Entwicklung von Lösungen und die Bewältigung von sozialen Herausforderungen: „Wenn es ein Wort gibt, das wir bis zur Erschöpfung wiederholen müssen, dann lautet es Dialog. Wir sind aufgefordert, eine Kultur des Dialogs zu fördern, indem wir mit allen Mitteln Instanzen zu eröffnen suchen, damit dieser Dialog möglich wird und uns gestattet, das soziale Gefüge neu aufzubauen. Die Kultur des Dialogs impliziert einen echten Lernprozess (…), der uns hilft, den anderen als ebenbürtigen Gesprächspartner anzuerkennen.(…) Der Frieden wird in dem Maß dauerhaft sein, wie wir unsere Kinder mit den Werkzeugen des Dialogs ausstatten und sie den „guten Kampf“ der Begegnung und der Verhandlung lehren.“ (Bei der Entgegennahme des Aachener Karlspreis, 2016)
2. Achtsamkeit auf Sprache und Begriffe (Klare Worte, markante Bilder):
- „Ich bitte euch, Revolutionäre zu sein! Schwimmt gegen den Strom! Ich bitte euch, gegen die Resignation zu rebellieren, gegen den Irrtum – wir können keine Verantwortung übernehmen und sind unfähig zur Liebe“
- „Christen sollen dienen, statt sich zu bedienen“
- „Sprecht freimütig und hört anderen demütig zu“ (an die Synodenväter in Rom)
- „Die wahre Macht ist der Dienst“
- „Jene, die in ihrem Leben dem Weg des Bösen folgen, stehen nicht in der Gemeinschaft mit Gott. Sie sind exkommuniziert!“ (in einer Messe in Kalabrien, wo er als erster Papst gegen die Mafia den kirchlichen Bann verhängte)
- „Gott ist nicht katholisch“
- „Ich würde auch einen Marsmenschen taufen“
- „Ihr seid Muslime, Juden, Orthodoxe, Katholiken. Aber wir sind wir! Macht Frieden! Ihr seid zu Großem berufen!“ (In einer Predigt zu Jugendlichen in Bosnien)
„Die Wahrheit ist wie ein Diamant. Zeige sie den Leuten, und sie funkelt. Wirf sie den Leuten ins Gesicht, und sie schmerzt.“
3. Konsistenz in den Handlungen:
Die Leidenden trösten: Generalaudienz 6.Nov. 2013: Der an der Erbkrankheit Neurofibromatose leidende Vincio R. stand mit seiner Tante in einer der vorderen Reihen. Diese Krankheit entstellt den Körper und das Gesicht mit Beulen, das die meisten abschreckt. Franziskus jedoch ging auf ihn zu, umarmte ihn fest, ohne Zögern.
Statt in den Sommerurlaub zu fahren, schrieb Franziskus die Enzyklika „Evangelii gaudium“ mit Sätzen wie „Diese Wirtschaft tötet“.
4. Wirksame, glaubwürdige Symbolik und die Kunst der Inszenierung:
- schlichte Kleidung (Verzicht auf rote Schuhe),
- anstellen in der Kantine wie jede/r andere,
- auf den Philippinen einen Plastikponcho statt eines Regenschirms benutzen, wie die Menschen am Straßenrand,
- vor dem Weiße Haus mit einem Fiat 600 vorfahren,
- zum Geburtstag Obdachlose samt deren Hunde in den Vatikan einladen,
- mit allen reden (Obama – Castro – Putin – Erdogan, Geheimkontakte zu Assad u.a.m.) und Feindschaften ignorieren: den Palästinenserpräsident Abbas und Israels Staatschef Peres zum gemeinsamen Friedensgebet einladen,
- akute Konfliktzonen betreten: Franziskus erste Reise führte ihn nach Lampedusa und er war kaum von einem Besuch im nordirakischen Erbil abzuhalten.
5. Interventionen in Strukturen und Muster der Organisation:
- Nach kurzer Amtszeit wird der C 9 als Reformrat von neun Kardinälen gebildet, die sehr unterschiedliche Perspektiven vertreten, aber gemeinsame Bilder zur Entwicklung der Kirche und Welt haben („Ich bin stolz auf den C 9 genannten Reformrat der neun Kardinäle, weil wir es geschafft haben, sehr kollegial miteinander umzugehen. Wir denken ganz unterschiedlich, aber alle wollen nach vorn“ Kardinal Maradiaga)
- Eingriffe in die Steuerungsstrukturen der Finanzverwaltung
- Einrichten von Beratungsgremien, die „quer“ zur Kurienstruktur liegen
6. Mut zu Konflikten, ohne jeden „angebotenen“ Konflikt aufgreifen zu müssen
Humor und Gelassenheit sind die Voraussetzung, um sich nicht in destruktiven Muster zu verheddern (Franziskus empörte sich nicht, als ihn katholische und evangelikale Republikaner als Marxisten denunzierten. Er erwiderte schmunzelnd: „Ich bin zwar kein Marxist, kenne aber einige anständige“).
Eine wohlmeinende Art, mit Kritik und Widerspruch umzugehen, ermöglicht, auch harte und inhaltliche Auseinandersetzungen zu führen.
Viel Freude beim Entdecken weiterer Prinzipien – auch jene, die riskant sind!
Die Inhalte meiner Blog-Serie sind Spots und Reflexion aus dem Buch:
„Führen in der Ungewissheit – Mut zum Sowohl-als-auch“
Zum Autor:
Herbert Schober-Ehmer (Geschäftsführender Gesellschafter im Redmont Consulting Cluster) ist systemischer Organisationsberater, Executive Coach und Autor. Er ist ein Doyen der Wiener Schule der Organisationsberatung, seit über 40 Jahren als Senior Consultant, Trainer, Coach und Lehrbeauftragter tätig. Weitere Artikel u.a. in Wissensmanagement (link), changeX Wirtschaft & Management” (Link), Personal Manager
Weitere Artikel finden Sie auch auf unserer Redmont Website: Lektüre