NEW WORK IS IN – OLD COMMAND STRUCTURE IS OUT ??

20. Mai 2019

…so lesen sich die meisten aktuellen Berichte in den Medien, wenn über den Segen von New Work,   Sinnorientierung, Purpose-Driven-Organisation, Reinventing Organisation, etc.… berichtet wird. Können doch Mitarbeiter*innen endlich selbstbestimmt, frei, lustvoll arbeiten und die Unternehmen im Gegenzug mit Engagement, Kreativität, Selbstverantwortung und Gewinn rechnen. Da nehmen sich >Command and Control<, Hierarchie, die auf Effizienz und Zahlen orientierten Führungskräfte recht gestrig aus, die Welt der Dinos in der Wirtschaft.

Dieser Polarisierung möchte ich mit einem alten Sprichwort begegnen: „manchmal schadet es nicht die Kirche im Dorf zu lassen“ (selbst dann, wenn noch kaum wer hin geht). Cool down, wäre das moderne Pendant, welches die Chance für eine differenzierte Betrachtung eröffnet.

Statt das Eine mit Heilserwartungen zu überhöhen und das Andere als gestrig zu entwerten, möchte ich die Funktionalitäten, die Vor- und Nachteile, die emotionalen und sozialen Gewinne, Kosten und Risiken des ‚New und Old‘ skizzieren (mehr als Skizzen kann ein Blogeintrag nicht leisten).

Ich bin gespannt, welche Resonanz meine – unvermeidlich plakativen – Überlegungen auslösen und freue mich, wenn Sie mir schreiben.

New Work und der „ganze Mensch“

Das „Neue Arbeiten“ verspricht, endlich kann sich der „ganze Mensch“ auch in der Erwerbsarbeit entfalten, einbringen, sich selbst dabei entdecken und verwirklichen. Arbeit darf, ja soll Spaß machen. Und jene, die Führungsaufgaben übernehmen, müssen sich nicht mehr verstellen, sondern dürfen (eher müssen) authentisch sein. Kann man dem etwas entgegen halten?

Ja, weil einiges nicht gesagt wird. Wenn der „ganze Mensch“ eingeladen und selbstverständlich dieses Gesamtsein auch gefordert wird, dann erinnert mich dies an jene Organisationen, die sich – im wahrsten Sinn des Wortes – den ganzen Menschen einverleiben. Eigentlich sehr alte Modelle, Assoziationen mit Tempeln, Kirchen, Orden, Sekten sind berechtigt. Für die säkulare Wirtschaftswelt ist das relativ neu, deshalb der Begriff „New Work“?

Viele Organisationen, die dieser Idee folgen, werden sich vehement gegen den Sektenvergleich wehren und meist zu recht, a) weil es nicht ihrer Intention entspricht und b)weil es in der Praxis viel weniger bedingungslos zugeht; dennoch bleibt für mich die Tendenz der Vereinnahmung.

Diese hat durchaus ihre Logik.

Organisationen, die auf permanente Innovation, auf rasche Reaktion, Widerspruchsfähigkeit, und Handeln im Ungewissen angewiesen sind, genügt es nicht mehr, nur jene Kompetenzen, Bereitschaften, Motivationen einzukaufen, die zum Ausfüllen einer Stelle, einer Funktion, zum Bedienen von Routinen und Prozessen erforderlich sind. In einem komplexen Umfeld (Sie kennen es, in der VUKA-Welt) kann man nur mehr bedingt wissen, was das Erforderliche ist und demnächst sein wird. Mitarbeiter*innen müssen daher mehr als die vordefinierten, bekannten Aufgaben erfüllen, sie sollen sich selbst-organisierend kreative, originelle Lösungen für nicht vorhersagbare Probleme entwickeln, in Kooperation mit anderen erkennen und entscheiden, was die Organisation zu ihrem Überleben, zu ihrer Zukunftsfähigkeit braucht. Und das, so meint man, sei nur vom „ganzen Menschen“ zu erhalten. Daher muss man mehr als Geld, Karriere und was sonst zum Tauschhandel Organisation-Mitglied dazu gehört, anbieten: freie Entfaltung, selbst gewählte Zeit, Entspannung, Eigeninitiative, Spaß.

Eine schöne aber auch „teuflische Verführung“.
Aber was stattdessen?

Es gilt mindestens zwei Aspekte ins Kalkül zu ziehen.
Der eine Aspekt bringt das normale Organisationsgeschehen – das auch für New Work Formate gültig ist –  ins Spiel, ein Aspekt, der den „ganzen Menschen“ aus dem Totalanspruch entlässt.

Wenn Organisationen mit ihren New-Work Angeboten auf den „ganzen Menschen“ hoffen, müssen sie dennoch Verträge mit Personen und deren Expertise machen. Überschreitet dieser Mensch die Eingangspforte ins Bürogebäude oder Fabrikgelände oder steigt als Key Account Manager in ein Flugzeug, ist ihm sein Mitgliedsstatus völlig klar, jetzt ist er nicht Vater, Mutter, Vereinsmitglied. Er  wird, wie in einer „alten Organisation“ entscheiden, was er nun von sich einbringt und was er lieber draußen lässt, welche Gedanken und Gefühle er zur Verfügung stellt und welche er lieber für sich behält und welche Interessen er in anderen Kontexten zu erfüllen versucht. Der ganze Mensch in der Organisation bleibt Illusion, außer (siehe oben) das Unternehmen wird sektenähnlich, und die Gefahr gibt es. Sie können in diesem Zusammenhang mit Recht an das Phänomen der Selbstausbeutung denken, diese schöne neue Arbeitswelt lässt manchen seine anderen Rollen und Prioritäten vergessen. Damit meine ich, dass New-Work-Angebote zu „teuflischen Verführungen“ werden können: gib mir Deine Seele, dann erhältst Du von mir Reichtum, Freude, Lust, Gestaltungsmacht (schlag nach bei Goethe, Faust 1 und 2).

Das Versprechen Freiheit – was meint das?

Dieser zweite Aspekt mag ernüchternd klingen, verweist er doch unmittelbar auf eine uns allen bekannte Illusion: Freiheit als Versprechen entspringt entweder einem falschen Verständnis von Freiheit oder ist Theaterzauber. Freiheit ohne Ordnung, ohne Verbindlichkeiten, strikten Regeln wäre individuelle Willkür, die in keinem sozialen System zu realisieren ist und die sich keine Organisation leisten kann. Organisieren, wie selbst oder vordefiniert auch immer, muss Erwartungen abstimmen und erfüllen, klären was wie zu entscheiden, was wann wie zu tun ist, welches Verhalten zu den Zielen, zum Sinn, zum Purpose passt und welches nicht. Wenn man Mitglied einer Organisation sein will, muss man deren Bedingungen, Spielregeln akzeptieren. Und man täuscht etwas vor, wenn man diese „Unterwerfung“ nur in hierarchischen Organisationen verorten würde. Im Gegenteil, dort kann man viel eher formale Regeln im sgn. Informellen relativ ungestraft umgehen, im eigenen Bereich >frei und wenig beobachtet< agieren. Versuchen Sie das mal in einem Team.
Oder betrachten Sie Holocracy, es gibt kaum eine klarer, durchgeregeltere Struktur als in dieser Form der Selbststeuerung. (Nicht zufällig spricht man von der Taylorisierung des Managements).

Der Blick auf die Kultur,…

…also auf das ungeschriebene Opportune und Nicht-Opportune, macht auch in New-Work-Unternehmen die Grenzen der Freiheit deutlich. Es ist z.B. nicht klug, in einer Organisation, die stolz auf ihre Selbstorganisation ist, eine klare hierarchische Ansage von der Geschäftsleitung einzufordern. Es kann auch zu empörten Reaktionen führen, wenn man in einer basisdemokratisch geführten Organisation, die auf totale Transparenz schwört („Bei uns ist alles in der Sonne, wir kennen keine Schattenorganisation“) auf den Nutzen und die Entlastung bestimmter informeller Wege hinweist (dies ist ein konkretes Beispiel).

Apropos ungetrübte Freiheit, ja, es gibt Momente und Phasen, wo dies so empfunden werden kann. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“ (Hermann Hesse – Stufen). In der Anfangsphase eines Teams, eines neuen Projektes, in den ersten Monaten (selten Jahre) eines Start–Up-Unternehmens wird man diesen Gründungszauber erleben, diese Breite an Möglichkeiten, die Freude am Experimentieren, die Zurufe und das spontane Entscheiden. Wenn solche Formate „erwachsen“ geworden sind und neue Spieler hinzukommen, finden diese – wie in den alten Hierarchien – unverständliche Strukturen, Verbote und Gebote vor, die, will man dort arbeiten, grundlegend zu akzeptieren sind.

Und nun, das ‚Stattdessen‘:

New Work, Selbstorganisation, Teams, Purpose driven Organisation brauchen gar nicht den ganzen Menschen. Was sie brauchen, sind seine Fähigkeiten zum Organisieren, zum Entdecken von Chancen, Erkennen von Risiken, zum Finden passender Mittel, zum Kreieren flexibler Programme, zur Kooperation und Kollaboration, zum selbstverantwortlichen Entscheiden, …

Das ist doch anspruchsvoll genug und muss nicht mit der Erwartung gekoppelt werden, dass man (stets) seine aktuellen Gefühlslagen, sein ‚Menschsein‘ zur Disposition stellen muss.

Also, einen klareren Blick und mehr Entspannung in die New-Work-Welt!

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Die Inhalte meiner Blog-Serie sind Spots und Reflexionen zum Thema:

„Führen in der Ungewissheit – Mut zum Sowohl-als-auch“
Zum Autor:
Herbert Schober-Ehmer (Geschäftsführender Gesell­schafter im Redmont Consulting Cluster) ist systemischer Organisationsberater, Executive Coach und Autor. Er ist ein Doyen der Wiener Schule der Organisationsberatung, seit über 40 Jahren als Senior Consultant, Trainer, Coach und Lehrbeauftragter tätig. Weitere Artikel u.a. in changeX, Wissensmanagement,  Personal Manager.
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