Was hat Selbstverantwortung mit Ethik und Ungewissheit zu tun?

26. Juni 2019

Einige Überlegungen als Impulse für die Führungspraxis.

Ungewissheit ist schwer auszuhalten

Auch für mich, obwohl mein Lebensmotto mich (und andere) daran erinnern soll, dass die Freude am Entdecken neuer Möglichkeiten erst dann beginnt, wenn ich Ungewissheiten als Chance zulasse

Im Kopf ist mir das klar, da bin ich ganz gewiss, allein die Gefühle bringen immer wieder eine andere Melodie zum Klingen. Da ich beide Seiten in mir und von mir kenne, weiß ich um die Verführbarkeit des Gesangs der Sirenen und ihrer Sicherheit versprechenden Angebote, und werde zugleich innerlich hellwach, wenn mit der Erzählung wieder mal alles „klar, eindeutig, richtig, endgültig, perfekt, einfach,…“ dargestellt wird. Dann beginnt der Diskurs in meinem Kopf und mit anderen.
Dann beginnt das Fragen und das Entdecken, was sich im Unklaren, Uneindeutigen, Fraglichen, Unperfekten, Komplexen an neuen Möglichkeiten so finden lässt.

So bleibt Unsicherheit eine Quelle – auch für das Ethische?

Dürfen wir uns jedoch so ungewiss, so fragil den Fragen der Ethik, der Werte nähern?
Oder müssen wir wieder strikter werden und uns manche Eindeutigkeiten der „Heiligen Ordnung“ (der Hierarchie) zurück holen?
Mit der „Anything-goes-Idee“, dem postheroischen Denken, der absoluten Gültigkeit der vielen Entwürfe (man beachte die Paradoxie), wurde sowohl dem Begriff der Freiheit ein falscher Dienst erwiesen, als auch der Verlust an Orientierung in Kauf genommen. Nährt das nicht die Sehnsucht nach abschließenden, endgültigen Antworten und die Bereitschaft, das Irritierende auszugrenzen? Soll nicht gerade Ethik und ihre meist pubertär-kluge Gefährtin, die Moral JA/NEIN Antworten liefern?

Diese Frage ist eine Falle, der ich nur deshalb entgehe, weil ich schon meine Antwort davor kannte (die auch nur eine Antwort ist!).

Werte brauchen eine soziale Basis

Wenn Werte und die damit verbundenen Gebote, Verbote und Spielregeln nicht autoritativ eingeführt, durchgesetzt und kontrolliert, sondern von möglichst allen Beteiligten entwickelt und getragen werden sollen, dann kommt Verantwortung ins Spiel.
Und Verantwortung ist eng an den Menschen, an das individuell autonome Wesen gebunden. Nur Ich, nur Du, nur Wir können Verantwortung übernehmen. Auch wenn Unternehmen, Organisationen, Parteien, Staaten,… Verantwortung übernehmen sollen und wollen, sind sie von der Bereitschaft der jeweiligen Akteure abhängig, diese auch zu übernehmen.
Führungskräfte fordern gerne  – oft, wenn sie am Ende ihres Lateins sind – Selbstverantwortung ihrer Mitarbeiterinnen ein.
Für mich stellt sich dann die Frage, woran es denn liegen mag, wenn Verantwortung eingefordert wird, aber nur wenige mitspielen. Das muss nicht in erster Linie am Verhalten der Führungskräfte liegen, außer deren Handlungen verweisen auf die Differenz von Wasser predigen und Wein trinken.  

Interessen und Verantwortung

Letztlich ist es sehr einfach zu erkennen, woran es wahrscheinlich liegt, dass Verantwortung nicht im erwarteten Sinn übernommen wird (wobei der Schritt vom Erkennen zum Tun dann schon viel schwieriger ist).
In wessen Interesse soll für welche Handlungen Verantwortung übernommen werden? Sollen damit Investoren kurzfristig zufrieden gestellt, Mitbewerber aus dem Feld geschlagen, Lieferanten „optimiert“, Personalkosten reduziert, Kunden das Beste versprochen aber nur das gerade noch passende geliefert werden? (Interessenslagen, die ja auch, um zu überleben, legitim sein können.)

Oder ist der Purpose wirklich sinnorientiert, ökologisch, nachhaltig, angemessen und fair ausgerichtet und kein Marketing-Gag?  Kann man mit der Übernahme von Verantwortung einen Beitrag zu einer besseren Organisation, zu zufriedenen Kunden, zu einem besseren und glücklicheren, wertvolleren Leben leisten? Wobei diese Attribute alleine noch kein Garant dafür sind, dass selbstverantwortliches Handeln die Organisation trägt.

Verantwortung setzt Kommunikation voraus

Aber der Anfang ist gemacht; mit Hilfe dieser Kategorien kann man im Diskurs  entdecken, was damit konkret gemeint sein könnte, woran sich das „Bessere“ zeigt, wie man fair beobachten und messen kann.
Zwei Grundmuster sollten beachtet werden:
Es ist viel schwieriger, wenn man das Leben, die Arbeit, die Welt besser machen möchte. Man wird rasch verdächtigt und als Gutmensch abgewertet.
Es ist viel einfacher,  Kräfte, Engagement und Verantwortung zu mobilisieren, wenn man eine Krise, eine Bedrohung, einen Feind identifizieren kann – und das gelingt erstaunlich schnell.
Kampagnen, die mit einem „Wir sind gegen…“ werben, finden rascher Zustimmung als solche mit einem „Wir sind für…“.

Verantwortung folgt einer attraktiven Zukunft

Dennoch bleibe ich konsequent, einem markierten Nein, einem „So nicht“ lasse ich unmittelbar ein „was statt dessen“ folgen. Man muss sich nicht lange mit dem Mangel herumschlagen (das macht nur Sinn, wenn man es mit kausalen oder technischen Situationen zu tun hat), um neue Ideen zu generieren. Schon alleine das Ausmalen attraktiver Bilder, das Entwerfen eines Skripts des besseren Zustandes löst die Problemtrance auf und erzeugt Freude, Interesse und kreative Lösungen. Verantwortungsbereitschaft muss dann nicht mehr eingefordert werden.

Die Inhalte meiner Blog-Serie sind Spots und Reflexionen zum Thema:
„Führen in der Ungewissheit – Mut zum Sowohl-als-auch“
Zum Autor:Herbert Schober-Ehmer (Geschäftsführender Gesell­schafter im Redmont Consulting Cluster) ist systemischer Organisationsberater, Executive Coach und Autor. Er ist ein Doyen der Wiener Schule der Organisationsberatung, seit über 40 Jahren als Senior Consultant, Trainer, Coach und Lehrbeauftragter tätig. Weitere Artikel u.a. in changeX, Wissensmanagement,  Personal Manager.
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