Digitale Transformation mit Bewährtem bewältigen
Ein Ergebnisbericht aus einem Workshop mit Unternehmen unterschiedlicher Branchen
Sinn klären und vermitteln – Akzeptanz ermöglichen – Interdependenzen verstehen und gestalten sind Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Unternehmensentwicklung und das gilt noch viel mehr für
Digitale Transformationen.
Digitale Transformationen scheitern nicht – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Das ist nicht ironisch gemeint, sondern verdeutlicht, was sich nun hinter dem so gängigen Sager „wir müssen die Herausforderung bewältigen“ verbirgt. Für Unternehmen ist es selbstverständlich, Herausforderungen – mehr oder minder gut – zu meistern, sonst würden sie nicht mehr bestehen. Auch digitale technologische Veränderungen – man nannte sie nur anders – wurden in den letzten 50 Jahren erfolgreich umgesetzt. Automatisierungsprozesse in der Produktion und Logistik, der Abwicklung von Dienstleistung, die Einführung von SAP für die betriebswirtschaftliche Steuerung haben sich – wenn auch nicht friktionsfrei – etabliert. Die angekündigten Revolutionen 2.0 und 3.0 sind im Unternehmensalltag angekommen. Mit 4.0 wird eine andere Qualität der Veränderung vermutet, erhofft, befürchtet. Das Innen (Strukturen, Prozesse, Führung, Kompetenzen, Mindset) kommt mit dem Tempo des Außen kaum mehr nach. Einige Branchen vermuten, dass sie mit ihren bewährten Geschäftsmodellen so nicht überleben werden. Und selbst jenen Unternehmen, denen es gelungen ist, die Entwicklung zu gestalten und ihr nicht hinterher zulaufen, bleibt die Ungewissheit das Beständige.
Man hat erkannt, dass es mit der Optimierung der bestehenden digitalen Logik allein zu wenig ist, um auf die Veränderungen am Markt (neue Kundenerwartungen, neue Konkurrenten mit neuen Geschäftsmodellen, …) zeitadäquat reagieren zu können. Eine Erkenntnis, die emotional wenig beruhigt, denn sie bedeutet, man muss an alle Dimensionen und Aspekte des Unternehmens und seiner Steuerung ran.
Wie radikal auch immer, es muss gelingen, will man weiter bestehen.
Die Art und Weise, das Wie des Transformationsprozesses kann und darf scheitern, man muss nur daraus – mit einer gewissen Gelassenheit – lernen, dann bewegt man sich auf der sicheren Seite.
Die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen, Übersehen von Schwierigkeiten, Treffen falscher Weg-Entscheidungen, vergeblicher Einsatz alter Changekonzepte ist hoch, denn die 4.0 Transformationen bewegen sich immer im Terrain hoher Ungewissheit
Das liegt aber selten an den neuen Technologien, den neuen Applikationen, der IT, den neuen Robotern, das liegt nicht am Digitalen.
Das liegt am Analogen, am teilweise nicht skalierbaren der Unternehmenskultur, am Verstehen können und wollen, am Herz und Hirn der Beteiligten, das liegt an der Kommunikation und Kooperation, das liegt am Was und Wie der Führung.
Digitalisierung braucht Informatikerinnen, Softwareachtikten, Ingenieurinnen, die Innovation von IT-Abteilungen. Die Transformation aber braucht das Zusammenwirken der ‚Technologinnen‘ mit anderen Expertisen und Playern.
Die technologische Kreativität muss durch die Fragen nach dem Sinn der Entwicklung, der ‚Arbeit‘ an der Akzeptanz und dem Erkennen und Verstehen von Interdependenzen eingehegt und zugleich befruchtet werden.
Es sind vier Fragen, die mit möglichst vielen Akteur*innen und Kund*innen zu bearbeiten sind, soll der Prozess gelingen:
- Was ist – weiterhin und in Zukunft – der Sinn unseres Unternehmens?
- Zu welchen Kundenproblemen wollen wir Lösungen anbieten und wie kann Digitalisierung zur Realisierung beitragen?
- Wie müssen wir den Prozess der Transformation gestalten, um die Herzen und Hirne der Betroffenen zu erreichen und zu gewinnen?
- Wie erkennen wir die unausweichlichen Wechsel- Rück- und Nebenwirkungen der Unternehmensdimensionen und wie ist das Zusammenwirken neu zu gestalten?
Werden diese Fragen erst nach der Optimierung der IT, der Arbeit an den Prozessen, Daten und Algorithmen behandelt, hat man sich mit größter Wahrscheinlichkeit unnotwendige (im wahrsten Sinn des Wortes) Probleme und komplexe Dynamiken eingehandelt, die den Transformationsprozess belasten, erschweren und verteuern werden.
Die eigentliche Transformation ist die soziale und kulturelle.
Führen kann auch dirigieren heißen
Ich kann Führungskräfte schon verstehen, denen manchmal das Postheroische auf den Geist geht und die mal so richtig ihre Mann- und Frauschaft dirigieren möchten, die aber –meist zu recht – vermuten, dass dies nicht gut ankommen würde (zumindest sollte man es nicht ankündigen – dann geht es sicher schief).
Denen sei das Konzept von Frau Oksana Lyniv, der sehr erfolgreichen, ukrainischen Chefdirigentin am Grazer Opernhaus nahegelegt. In einem Zeit – Interview vom 20.09.18 erklärt sie, dass es natürlich erforderlich, aber keineswegs selbstverständlich ist, seine Vorstellungen zu vermittel und umzusetzen. Das Geheimnis von Frau Lyniv ist einerseits ihr Enthusiasmus, der Strenge und das Spielerische verbindet und ihr Verständnis ihrer Rolle:
„Ich gebe einen Impuls ins Orchester, das damit weitere Impulse auslöst, die zu mit zurückkommen. Die wiederum verarbeite ich, verändere oder verstärke sie und schicke sie wieder zurück“
So simpel. So organisch. Führen, einfach systemisch, kybernetisch.
Nicht die Komplexität, die Eindimensionalität führt ins Chaos
In der „Die Zeit“ Nr. 21 vom 17. Mai 18, wird eine Analyse zur aktuelle weltpolitische Lage mit der Überschrift „In der Hamsterrad-Hölle“ charakterisiert. Der dazu eingefügte Cartoon zeigt einige politische „Führer*innen“ in ihrem HamsterradWeiterlesen
Digitalisierung ist irgendwie Schicksal, sicher Fakt, zweifelsohne Treiber, aber…
…Unternehmen könnten sie, sollten sie organisatorisch und kulturell innovativ, menschengerecht und sozial klug gestalten.
Das ist machbar, sinnvoll, erspart Kosten, erhöht den positiven Nutzen der Technologien und vergisst nicht den kreativsten Faktor – den Menschen.
Wenn man schon davon ausgehen muss, dass „Alles was man digitalisieren kann, digitalisiert wird“ (McAffee, 2018), dass Automatisierung, KI-Systeme sich rasant weiter entwickeln werden, dann ist es an der Zeit, sich um ein neues Organisieren, Kooperieren und Führen zu kümmern.
Um die technologischen Innovationen braucht man sich keine Sorgen machen. Gefordert ist ein neues sinnvolles Zusammenspiel zwischen Technik, neuen Anwendungen, veränderten Geschäftsmodellen und den sozialen Dynamiken in allen Gesellschaftsfeldern. Wir stehen vor unausweichlichen Herausforderungen für Organisationen, es wäre eine gefährliche Illusion weiterhin auf Optimierung oder Lernen über Benchmark zu vertrauen. Es verlangt ganz schlicht nach wirklich neuen Formen des Führens, Organisierens, Kollaborierens, Entscheidens, u.v.m..
Aber es gibt auch die umgekehrte Herausforderung: die neuen sozialinnovativen Modelle nichthierarchischer Steuerung, die Verlagerung von Entscheidungskompetenz an die „Grenzübergänge der Organisation zu Kunden und Lieferanten“ erfordern den Umgang mit digitalen Tools zur Erfassung, Verarbeitung und Nutzung von Daten. Nur so können sgn. Kreisorganisationen sinnvoll navigieren, kommunizieren und passende Entscheidungen finden.
Die „Arbeit am System“ (im Unterschied zur täglichen „Arbeit im System“), die Entwicklung eines neuen Verständnisses von Management und neuer Formen der Steuerung erlangt eine noch größere Bedeutung.
Digitale Transformation setzt Transformation der Organisation, Transformation der Führung, Transformation des Mindset und Verhaltens voraus.
Und wie macht man das? Durch das Zusammenspiel mit interdisziplinären Teams, durch Dialoge und innovatives Ko-Kreieren.
“Thank You for Being Late”,
ist der Titel des neuen Buches von Thomas L. Friedmann,
Ohne noch das Buch selbst gelesen zu haben (siehe aber die Rezension von Winfried Kretschmer auf changeX), spürte ich, genau (!), darauf kommt es mehr denn je an.
„Danke, dass Sie zu spät kommen“ könnte man als eine zynische „Abmahnung“ hören, oder als wirklichen Dank für geschenkte Zeit verstehen. Der Zuspätkommende unterbricht die enge Taktung, und öffnet ein überraschendes Zeit-Fenster. Und wer möchte und gelassen genug ist, kann darin – nach dem ersten Ärger – ein Geschenk erkennen. Eigentlich ist es nur eine flüchtige Chance, ein Hauch von Freiheit, aus der man sich selber ein Geschenk machen kann. Ein kurzes Durchatmen, ein Aufschauen, ein Innehalten, ein Platz für das kreative NICHTS, ein versonnenes Lächeln, ein Augenblick des Besinnens, ein zu sich kommen – nennen wir es gängiger: einige Augenblicke zum Reflektieren.
Risiken erhöhen sich stets, wenn bei zusammengehörenden Widerspruchspaaren nur mehr eine Seite gesehen, präferiert, forciert wird; wenn die Balance verloren geht. (Nur die Erneuerung oder nur das Bewahren, nur das Funktionale oder nur das Menschliche, nur die Beschleunigung oder nur die Entschleunigung; u.v.a.m.)
Es dauert lange bis die Erkenntnisse von Philosophen im Alltag verstanden und genutzt werden. Nur zwei Beispiele: 1989 markiert Peter Sloterdijk in „Eurotaoismus“ die „Neuzeit als Mobilmachung“ und reflektiert die „Panische Kultur – oder: Wieviel Katastrophe braucht der Mensch?“. 1990 (!) gründet Peter Heintel den Verein zur Verzögerung der Zeit (Ziel: „Die verhängnisvollen Auswirkungen, welche die oft nicht zu Ende gedachten und aktionistischen Beschleunigungstendenzen in allen Lebensbereichen mit sich bringen, fordern es geradezu heraus, dass eine Gruppe von Menschen ihren Zeit-Sachverstand einbringt und an das angemessene Zeitmaß erinnert bzw. eine die Eigenzeitlichkeit lebender Systeme berücksichtigende Entwicklungszeit einfordert“ Auszug aus den Statuten) und veröffentlicht 1990 sein Buch „Innehalten“ (Herder).
Das reflektierende Innehalten wird mehr denn je zur Voraussetzung einer erfolgreichen Steuerung von Unternehmen und zu einer Überlebensfrage der Gesellschaft. Die meisten wissen, Digitale Transformation ist nicht wirklich ein technologisches Problem, sondern ein organisatorisches, soziales, menschliches. „Das Sicherstellen eines sinnvollen und nachhaltigen Nutzens für die Organisation, deren Kunden und Stakeholder erfordern das Zusammenwirken unterschiedlichster Fähigkeiten und Disziplinen, eine Kooperations- und Kollaborationsfähigkeit unterschiedlicher Expertinnen, soziale und emotionale Intelligenz, Verstehen und Steuern der sozialen Dynamiken in und zwischen Organisationen.“ (Redmont Consulting Cluster) Ohne die Integration von bewusstem reflektierendem Innehalten, ohne das „Dazwischenschieben“ von Entschleunigung, kann diese Anforderung nicht bewältigt werden.
Sagen wir es positiv: Nutzen wir die Fähigkeit von uns Menschen (im Wissen um die Gesetze des Lebendigen), den passenden Rhythmus zu finden.
"The link is more important than the thing."
Dazu aus Robert Menasses neuem Roman “Die Hauptstadt” (für den er den Deutschen Buchpreis erhalten hat) einige Zeilen – ganz ohne Kommentar:
„Sie kannte das doch seit Jahren. Allgemeine Zustimmung zu der Idee, und dann so viel einzelne Einwände und Änderungsvorschläge, dass von der Idee nichts mehr übrig blieb.
In dem Roman, den Xeno gelesen hatte, dem Lieblingsroman des Präsidenten (der Europäischen Kommission, Anm. von mir), gab es eine Stelle, in der der Kaiser seiner Geliebten verspricht, dass er mit all seiner Macht, (…)den alten Menschheitstraum vom Fliegen verwirklichen möchte. Dieses Wunder (…) würde (…) den Glauben der Menschen in ihre Möglichkeiten entfesseln und daher Glück und Wohlstand seines Reiches befördern. Er rief die bedeutendsten Philosophen, Priester und Wissenschaftler seine Zeit zusammen, um an der Lösung dieser Aufgabe zu arbeiten – die sehr schnell daran scheiterte, dass all diese weisen Männer sich nicht einmal darauf einigen konnten, welcher Vogel der richtige sein, um ihm das Geheimnis des Fliegens zu entreißen. Sie sahen nicht das Fliegen, sie sahen nur die Unterschiede der Vögel.
Die Wahrheit der Ästhetik
Soziokratie, Holocracy, Integralität, Agilität sind die aktuellen (und gar nicht so neuen) Aspekte zur Gestaltbarkeit von Organisationen. Wenn man Organisationen ‚gestalten‘ kann, dann war es nur schlüssig, dass der Begriff des Designs Eingang in die Suche nach passenden Formaten und Strukturen gefunden hat. Die beobachtbare Wahrheit der Ästhetik tritt an die Stelle der eindeutigen (aber oft illusionären und nachträglich konstruierten) Zweckrationalität. Da es die nächsten Organisationen immer mit vielen und teilweise divergenten Zielen, Zwecken und Rationalitäten zu tun haben werden, sollte Management nicht schon wieder fragen, was ist nun die neue, richtige Organisationsform, sondern entdecken, welche Eigenschaften soll denn unsere Organisation auszeichnen. Daraus können kreative Designelemente für Meetings, Projekte, Strukturen, Verfahren, u.a.m. entwickelt werden, die zu eleganten und nützlichen Gesamtdesigns zusammengefügt werden können.
Und man kann davon ausgehen, dass in einem Design-Thinking Prozess neue kreative Strukturformate gefunden werden, die Freude und Lust am Arbeiten, am Entscheiden und am Übernehmen von Verantwortung hervorzubringen im Stande sind.
Und wenn man vom Modus des >Überlebens< – mag dieser noch so mit „erfolgreich“ verbunden sein – auf den Modus >Leben< wechselt, öffnet man sich zu neuen Perspektiven. Statt zu fragen, wie kann unser Unternehmen in einer so komplexen Welt erfolgreich überleben, wird man entdecken (und kreieren), mit welche Kunden wollen wir einen lebendigen Austausch führen, wie finden wir eine sinnvolle und sinnstiftende Orientierung mit den Kunden, welche Ideen wollen wir leben und wie wollen wir sie realisieren, wie leben wir unsere Strategien, unsere Produkte, welche lebendige und schöne Organisation wollen wir sein?
Wie wollen Sie Ihre Organisationseinheit steuern, nach dem Regelmodus oder nach dem Entscheidungsmodus?
Die Antwort auf diese Frage habe ich nicht unter 758 Worte geschafft – völlig twitter untauglich, sorry.
Auf den ersten Blick scheint diese Entweder-oder-Frage wenig hilfreich zu sein. Denn selbst da, wo genau geregelte Prozesse (z.B. das Starten und Landen eines Flugzeuges, der Produktionsablauf in der Automotivindustrie, ein medizinisches Diagnoseverfahren) Sicherheit und stabile Qualitäten sicherstellen müssen, treten unerwartete Ereignisse auf, ist mit Grauzonen, neuen Fragen und mit nicht vorhergesehenen Widersprüchen zu rechnen. Das sind alles Situationen, die nur per Entscheidung der Akteure vor Ort zu bewältigen sind. Andererseits kenne ich keine noch so auf Selbststeuerung, Selbstverantwortung, Autonomie, Flexibilität und Agilität ausgerichtete Organisation, die nicht (auch) klare Regelungen braucht, die über die allgemeinen Rahmenbedingungen hinausgehen.
Dennoch würde das naheliegende Sowohl-als-auch verschleiern, dass es sehr wohl um eine wichtige Richtungsentscheidung geht. Daher plädiere ich doch zu einem generalisierenden Entweder-oder (oder zumindest zu einem Mehr-oder-weniger). Erst die klare Ausrichtung hilft, viele Missverständnisse, Erwartungskonflikte und Fehlsteuerungen durch das Management zu vermeiden.
Jeder Modus hat andere Implikationen, erfordert andere Kompetenzen und Konsequenzen bei Abweichungen. Und erst recht würde ein Sowohl-als-auch eine umfangreiche Klärung erfordern, welcher Modus bei welchem Entscheidungsthema angewandt werden soll.
Und damit nicht immer wieder entschieden werden muss, wie den nun im konkreten Fall zu entscheiden ist genügt es zu wissen, welche Daumenregel in unserer Organisationseinheit gilt, wenn ein Dilemma auftritt: Striktes Einhalten von Regeln vor eigenständiger Entscheidung, weil uns z.B. sonst die Aufsichtsbehörde nach ihren Überprüfungen im Risikoranking abstuft (Problem von Banken bei der Kreditvergabe) oder vertrauen wir auf eigenständiges Entscheiden vor der Suche, nach welchen Regeln vorzugehen sei, weil der aktuelle Kundenwunsch gar nicht vorhergesehen werden konnte.
Naheliegend und (scheinbar) einfacher ist das Handeln nach dem Regelmodus, sind doch Organisation per se (sicherheitsstiftende) Regelsysteme – die aber (nicht erst heute) für ihr Funktionieren Nebenwege, informelle Abstimmungen, das Umgehen von Regeln, das kluge Als-ob erfordern.
Mit dem Primat der Kundenorientierung, der zunehmenden Komplexität und Marktdynamik, der Bewältigung von Unvorhersehbarem, der Forderung nach Agilität wurde deutlich, Vorhersagbarkeit, also Berechenbarkeit als Voraussetzung für das Handeln nach Regeln, hat sich drastisch reduziert.
Das weiß man alles, und in mehr und mehr Organisationen hat sich das Subsidiaritätsprinzip etabliert: Wo die Expertise ist, wo der Kontakt zum internen und externen Kunden gegeben ist, soll eigenverantwortlich entschieden werden. Ein Prinzip, das meist moralisch eingefordert, aber selten strukturell und kompetenzgemäß abgefedert wird. Man könnte sagen, kein Wunder, denn diese Verlagerung von Entscheidungskompetenz an die Peripherie der Organisation geht nicht ohne Irritation an den zentralen Einheiten und an den „Chiefs“ vorbei. Es gilt, ein neues Konfliktfeld zu managen.
Komplexer wird diese Verlagerung der zentralen und regelbasierten Entscheidungsmodi, wenn dafür sich selbst organisierende Einheiten oder Teams geschaffen werden. Das „Selbst“ verweist auf die Autonomie, der Begriff „organisierend“ auf Regeln und Strukturen. Auch wenn von solchen – sich selbst steuernden – Einheiten erwartet wird, dass sie eigenständig entscheiden, was gerade Sache und wie diese Sache zu bewältigen ist, müssen sie sich – um nicht immer wieder entscheiden zu müssen – selbst organisieren, also sich selber Regeln geben. Aus meiner Beobachtung zeigt sich, dass auch sich selbst organisierende Teams dazu tendieren – wie in der klassischen Linienorganisation auch – sich per Regeln den Stress (durch das Bewältigen von Unsicherheit und der Paradoxien) vom Leib zu halten. Das zentrale Thema ist daher, wie werden Entscheidungsgremien entscheidungsfähig. Wie gelingt es, eine Kommunikations- und Kooperationskultur zu entwickeln, die die Beteiligten einlädt, ihre unterschiedlichen Perspektiven mit Interesse und Klugheit zu prüfen, um daraus neue Erkenntnisse zu generieren? Wie schafft man jene „gemeinschaftliche Intelligenz durch Dialog“, die eine höhere Entscheidungsqualität, eine bessere Abwägung von Alternativen und bessere Einschätzung von Chancen und Risiken ermöglicht, ohne dass sie zu neuen ‚Zeitverzögerungsinstanzen‘ werden? An Methoden fehlt es nicht, an Erkenntnissen auch nicht, selbst der Wille ist meist wirklich vorhanden, allein die inneren Vorstellungen (Mindsets) und die eingeübten Muster sind stärker.
So musste z.B. in einem Produktionsunternehmen der Verpackungsindustrie im Kundenserviceteam (bestehend aus Qualitätsmanagement, technischem Kundendienst, Vertriebsverantwortlichem und Prozessverantwortlichem) die Grundregel eingeführt werden: Bei Reklamationen muss zuerst das Problem für den Kunden gelöst werden, damit dieser zeitnah seine Waren verpacken kann, bevor geklärt wird, wo mögliche Ursachen liegen oder wer in der Prozesskette Mitverursacher (Schuldiger) war. Das Vernachlässigen der Kundeninteressen lag nicht an fehlenden Tools, sondern am Denken, wie vermeide ich es, den schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen.
Soll der Entscheidungsmodus wirklich seine (theoretische) Qualität auch praktisch ausspielen, muss man einige Zeit die bestehende „Natur“ von Organisationen, Gruppen und Individuen gegen den Strich bürsten. Und man muss damit rechnen, dass sich die Haare aufstellen – so schön die Beispiele über die Wirkung von Integralen Organisationen, Soziokratie, Holocracy, Heterarchie und Selbstbestimmung auch klingen. Aber der evolutionäre Wandel könnte sich auszahlen.
Die Schöne (Erfahrung) und das Biest (der unbekannten Zukunft)
Gedanken nach der Tagung „Intelligenz und Entscheidung“ Zur Aktualität von James March in agilen Zeiten
Was „macht man“ mit Gelerntem, wenn die aktuellen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft recht wenig Ähnlichkeit mit den Geschehnissen der Vergangenheit haben?
Lernen leitet sich immer aus Erfahrungen (reflektiert oder einfach verinnerlicht) zurückliegender (positiv oder negativ erlebter) Ereignisse, oder Erkenntnisse anderer ab, lebt also immer vom Rückblick. (Das ist sicher kein überraschender Gedanke, aber die Konsequenzen sind nicht zu unterschätzen.)
Aus der Geschichte und aus Geschichten entwickelt man Lern- oder Glaubenssätze und nennt diese dann Erkenntnisse, die schließlich argumentativ Entscheidungen zur Bewältigung des Zukünftigen stützen. Wenn dieses Zukünftige irgendwie dem Zurückliegenden ähnlich war, konnten wir „ungestraft“ das Gelernte in Annahmen und Handlungen umsetzen. Allerdings tun wir eine Menge, um eine hohe Übereinstimmung zwischen Gegenwart und Vergangenheit herzustellen. Ein vernünftiges, meist brauchbares Konzept, und es hat nicht zufällig als „Best-Practice“ Eingang in die Managementmethoden gefunden.
Dieser Weg ist für die neuen Herausforderungen (Sie kennen die Begriffe dafür: von VUCA über Digitale Transformation zu Agilität, u.a.m.) zum Risiko geworden. Wenn Situationen wirklich als ‚komplex‘ (nicht als kompliziert) zu charakterisieren sind, dann läuft jede Analyse der Situation hinterher, weil jeder Schritt, jede deutlich kommunizierte Beobachtung und Interpretation die Situation verändert (Heisenberg lässt grüßen).
Natürlich ist lernen weiterhin unerlässlich. Es empfiehlt sich nur, auf die Basismethode (das Lernen in der Kindheit) zurückzugreifen: Versuch und Irrtum; erste Schritte versuchen, niederfallen, lachen oder unbeeindruckt wieder aufstehen, neuer Versuch. (Diesen Weg hat man im Design Thinking zur Methode erklärt.) Es ist aber zu beobachten, dass diese Lernform andere Formate der Kommunikation und andere Strukturen, als die der Hierarchie erfordert. Das haben Unternehmen meist selbst entdeckt oder lernen es von anderen Unternehmen. Wie macht das Telehaase, Gore, Google? Aber Vorsicht, die Sehnsucht nach Sicherheit aktiviert den Nachahmungsimpuls. Dzt. – vielleicht wird sich das in einigen Jahren geändert haben – braucht es Mut, den eigenen Weg, die eigenen Formen des Organisierens, Planens, Steuerns, Führens zu finden.
Aber es gibt Prämissen, die dabei nützlich sind:
- Leer werden, um Möglichkeits- oder Entdeckungsräume zu schaffen
- Nicht nur über den Tellerrand schauen, sondern mit anderen Disziplinen wirklich kollaborieren
- Bereitschaft zur Metamorphose im Denken, Entscheiden, Führen.

